Ahnung poetischer Schönheit
Die Fotografien von Jürg Haas sind eigentlich Bilder. Nicht nur, dass er sie auf Leinwand druckt, was ihrem Finish die feine Struktur von Gemälden gibt. Sie drücken ebenso das Malerische aus, die Spontaneität des raschen Pinsels. Auch sie kaschieren hinter ihrer stilbildenden Unschärfe das Sujet, das man nur erahnt, mal deutlicher und mal nur als Inspiration. Es ist diese Unschärfe, die der Künstler schon beim Entscheid für sein Motiv sieht: in der Natur, in Landschaften, in Strassenzügen, bei der Architektur von Gebäuden oder Städten. Jürg Haas macht mit seinen Fotobildern nicht das Vordergründige sichtbar. Er zeigt vielmehr das Atmosphärische, in das sich eintauchen lässt. Ob frohe Farbigkeit oder vielfarbige Eintönigkeit: Es ist stets eine Geschichte. Die Betrachterin, der Betrachter mögen sie vielleicht selbst zu Ende erzählen. Oder sie lassen sich auch nur von deren Ästhetik betören. «Bewegte Impressionen» lautete der Titel einer seiner Ausstellungen. Das traf Charakter und Aussage dieser Werke sehr genau. Werke, die nicht etwa zuerst am Computer bearbeitet werden. Es sind Originale. Ihre spontane Bewegung und Unschärfe entstehen im Moment der Aufnahme, folgen der Intuition des Künstlers und seiner Kamera. Hauptberuflich als Architekt tätig verbindet Jürg Haas oft diese beiden Tätigkeiten. Er setzt grossflächige Vergrösserungen seiner Bilder ein als ganze Wände oder als raumhohe Raumtrenner in Interieurs.
Hans Uli von Erlach
Jürg Haas · Pin-Hole Photographie
Licht fällt durch eine kleine Öffnung in einen dunklen Raum («camera obscura») und bildet, auf der dieser Öffnung gegenüberliegenden Wandfläche, das Licht der Aussenwelt ab. Bereits Platon hat wohl bei seinem Höhlengleichnis an dieses Phänomen gedacht ...
In der Renaissance war die Camera obscura zu einem tragbaren Werkzeug geworden, welches auch von Malern eingesetzt wurde. Im Jahre 1826 fixierte Nicéphore Nièpce die erste Fotografie (Heliographie) mit seiner Camera obscura. Die kleine Lichtöffnung ersetzte man im letzten Jahrhundert durch hochkomplexe Sammellinsen/Objektive mit hoher Lichtstärke und das Bild wird in der Kamera präzise auf Film, heute über digitale Lichtwandler, festgehalten.
Der Fotograf Jürg Haas setzt die ursprüngliche Technik bewusst ein: Auf das Kamera-Gehäuse wird nicht das Objektiv gesetzt, sondern eine feine Metallscheibe montiert. Diese Scheibe besitzt ein winziges, nadelstichgrosses Loch (Pinhole).
Jürg Haas: «Meine ersten Experimente mit damals selbst angefertigten Gehäusen liegen wohl zwanzig Jahre zurück. Fotografieren mit dieser Ausrüstung schränkt ein, zum Beispiel durch lange Belichtungszeiten oder die Bestimmung des Sujets. Pinhole-Photographie öffnet mir aber gleichzeitig faszinierende Möglichkeiten: Die Bilder sind technisch weicher, zeichnen wohl weniger scharf, besitzen jedoch unendliche Schärfentiefe, nehmen die räumliche Wahrnehmung zurück, wirken eher weich, wie gemalt und das Licht scheint zu fliessen, wie spontan aufgetragenes Aquarell.»
Jürg Haas‘ Foto-Bilder sind Interpretationen eines Moments, das Licht selbst hat sie mit glühender Kraft und sanfter Aura gemalt ... oder zurück zu Platon: ... in den Bildern ist mehr zu sehen, als was wir sehen ...
Paul Güntert
ehem. Leiter Nikon Foto-Galerie Zürich